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Monthly Archives: Dezember 2009

An einer Mauer im oberen Teil der Trittligasse in der Zürcher Altstadt prangt seit einigen Tagen eine Strichfigur – eigentlich nichts ungewöhnliches, sind mit Graffiti beschmierte Wände doch in Zürich beinahe allgegenwärtig. Doch der Stil der Figur ist unverkennbar ähnlich mit anderen Figuren, die in der letzten Zeit im Kreis 1 entstanden sind. Mit meiner Kamera mache ich mich auf den Weg, um einige von den Grafittizeichnungen aufzunehmen und zu vergleichen. Die Geschichte dahinter: Harald Naegeli, der Ende der 70er Jahre als Sprayer von Zürich bekannt geworden ist und 1984 eine sechsmonatige Haftstrafe absitzen musste, weil er die öden Betonwände der Stadt Zürich mit filigranen, schwarzen Figuren besprüht hatte. Zu dieser Zeit herrschte in Zürich eine Phase des Aufbruchs, teilweise mit Jugendprotesten und Spannungen zwischen dem Zürcher Bürgertum und Freigeistern. Naegeli sprühte anonym und meist in tiefester Nacht seine einprägsamen Strichmännchen und -frauchen und lieferte sich mit der Stadtpolizei Geplenkel wie beim Räuber und Gendarm spiel. In dieser Zeit entstanden mehrere hundert Zeichnungen an öffentliche und private Wänden. Es hagelte von öffentlicher und privater Seite Strafanzeigen und die Kunst sowie die Person Naegeli wurden zu einem Politikum, das nicht nur in Zürich sondern auf der ganzen Welt aufmerksam beobachtet wurde. «Ich, der Sprayer von Zürich» teile mit, dass meine Spraybilder kulturgeschichtliche Bedeutung haben und die 192 Strafanzeigen vom schweizerischen Staat und Privaten nichts anderes sind als der Beleg einer geistigen Bankrotterklärung», erklärte Naegeli. Auf Grund eines Zufalles wurde er 1979 jedoch festgenommen und zu neun Monaten Haft ohne Bewährung und einer Geldstrafe von rund 100 000 Franken Geldstrafe verknackt. Dieser entzog er sich kurzfristig durch die Flucht nach Deutschland, wo er mit zahlreichen Künstlern, u.a. Joseph Beuys im engen Kontakt stand, im Jahr 1983 aber von der konservativen Regierung um Helmut Kohl unter grossen Protesten von Seiten der Künstler und dem ehemaligen Kanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt ausgeliefert wurde. Nach dem Verbüssen der Gefängnisstrafe kehrte Naegeli nach Deutschland zurück und arbeitet dort bis heute als Künstler. Heute gilt die Kunst Naegelis in der Schweiz immer noch als stark umstritten, obwohl er sich international einen Rang und Namen als Grafitti Künstler gemacht hat.

Die neuen Zeichnungen im Zürcher Oberdorf, in Oerlikon und anderen Stadtgebieten lassen vermuten, dass Harald Naegeli zurück ist! An dieser Stelle möchte ich Euch meine Aufnahmen von den wohl neuesten Werken zeigen und die Charakteristiken seiner Sprayereien aufzeigen. Interessant sind aber auch die zahlreichen Zeitungsartikel, die in den letzten Tagen zu seinem Werk in der Trittligasse in der Tagesanzeiger und der NZZ erschienen sind. Obwohl die Uni Zürich 2004 das Werk Naegelis am Deutschen Seminar konservieren und schützen liess, sind seine Kunstwerke in der Stadtzürcher Bevölkerung so umstritten, dass beinahe alle Leserbriefe zum Thema sehr negativ ausfallen und die Autoren Naegeli beinahe ohne Ausnahme an den Pranger haben wollen.

Leserbriefe

Leserbriefe aus der NZZ


Interessant, wie sehr die triste Gegend von Kreis 4 hinter den Gleisen des Zürcher Hauptbahnhofs zum wahren Place to be für die jungen, zeitgenössischen Zürcher Galerien geworden ist. Die Gegend ist für mich einer der Gegenden, in denen die Globalisierung ihre Fratze zeigt: finstere Gestalten treiben sich in den Innenhöfen herum, eine thailändische Prostituierte lächelt mir an der Ecke zum Kasernenareal vom Fenster auf die Strasse herab, alle paar Meter finden sich Im- und Exportläden mit Brautkleidern aus Kunststoff, Elektronik aus den Achtziger Jahren, Dönerbuden und Internetcafes mit Telefonspezialtarifen nach Sri Lanka und Albanien. Die Dienerstrasse wird von UV Lampen gesäumt, die in den Innenhöfen den Junkies das Finden der Ader schwer machen sollen. Es fängt an zu regnen…die ansonsten schon recht graue Gegend wirkt nun beinahe schon bedrohlich. Schnell finde ich die Galerie von Claudia Groeflin, die seit Beginn des Monats den Basler Künstler Fabian Chiquet zum zweiten Mal in einer Einzelausstellung zeigt. Neonröhren brennen…endlich ein wenig Licht an diesem dunklen Tag.

Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Stockwerke… habe mich kurz vor dem Besuch mal im Internet kundig gemacht: Fabian Chiquet ist erst 24 Jahre alt und beschäftigt sich in seiner Kunst mit Themen aus der Alltagskultur, in denen er über den Sinn von Spontanität und der Existenz von Authentizität sinniert. Dabei scheut er nicht, verschiedene Medien zu mischen und verwendet neben verschiedenen Materialien für seine bildende Kunst auch Videos für seine Performances. Eine seiner Projekte habe ich dieses Jahr in Basel gesehen. Ich erinnere mich – das Infoblatt der Galerie bestätigt: „Part of the Nite Never dies“ an der Liste 09.
Irgendwie hat mich das Wetter sehr müde gemacht, ausserdem habe ich meine Kamera ohne Memory Stick mitgenommen…nicht mein Tag heute. Ich erkundige mich bei dem Herren, der die Aufsicht macht, ob ich denn irgendwie an Photos von dem Künstler kommen könnte – er bestätigt meine Vermutung, dass ich auf der Website der Galerie fündig werden sollte. Zum zweiten Mal laufe ich die Treppe herab ins untere Geschoss…schaue mir nochmal die Bilder mit den Klebebändern an. Ob ich wohl zu müde bin? Ich komme auf die Bilder gerade nicht so ganz klar. Irgendwie habe ich nur noch die Universität und die ganzen Arbeiten im Kopf, die noch bis Weihnachten anstehen. Für Kunst brauche ich Muse…viel Muse, Zeit…und bei diesem Wetter vor allem einen heissen Kaffee. War da nicht gerade ein Coffee-to-go Angebot in dem Dönerladen kurz vor dem Kasernenareal? Ich wünsche der Aufsichtsperson einen schönen Abend und sage ihr, dass ich nochmal in Ruhe wiederkommen würde.