An einer Mauer im oberen Teil der Trittligasse in der Zürcher Altstadt prangt seit einigen Tagen eine Strichfigur – eigentlich nichts ungewöhnliches, sind mit Graffiti beschmierte Wände doch in Zürich beinahe allgegenwärtig. Doch der Stil der Figur ist unverkennbar ähnlich mit anderen Figuren, die in der letzten Zeit im Kreis 1 entstanden sind. Mit meiner Kamera mache ich mich auf den Weg, um einige von den Grafittizeichnungen aufzunehmen und zu vergleichen. Die Geschichte dahinter: Harald Naegeli, der Ende der 70er Jahre als Sprayer von Zürich bekannt geworden ist und 1984 eine sechsmonatige Haftstrafe absitzen musste, weil er die öden Betonwände der Stadt Zürich mit filigranen, schwarzen Figuren besprüht hatte. Zu dieser Zeit herrschte in Zürich eine Phase des Aufbruchs, teilweise mit Jugendprotesten und Spannungen zwischen dem Zürcher Bürgertum und Freigeistern. Naegeli sprühte anonym und meist in tiefester Nacht seine einprägsamen Strichmännchen und -frauchen und lieferte sich mit der Stadtpolizei Geplenkel wie beim Räuber und Gendarm spiel. In dieser Zeit entstanden mehrere hundert Zeichnungen an öffentliche und private Wänden. Es hagelte von öffentlicher und privater Seite Strafanzeigen und die Kunst sowie die Person Naegeli wurden zu einem Politikum, das nicht nur in Zürich sondern auf der ganzen Welt aufmerksam beobachtet wurde. «Ich, der Sprayer von Zürich» teile mit, dass meine Spraybilder kulturgeschichtliche Bedeutung haben und die 192 Strafanzeigen vom schweizerischen Staat und Privaten nichts anderes sind als der Beleg einer geistigen Bankrotterklärung», erklärte Naegeli. Auf Grund eines Zufalles wurde er 1979 jedoch festgenommen und zu neun Monaten Haft ohne Bewährung und einer Geldstrafe von rund 100 000 Franken Geldstrafe verknackt. Dieser entzog er sich kurzfristig durch die Flucht nach Deutschland, wo er mit zahlreichen Künstlern, u.a. Joseph Beuys im engen Kontakt stand, im Jahr 1983 aber von der konservativen Regierung um Helmut Kohl unter grossen Protesten von Seiten der Künstler und dem ehemaligen Kanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt ausgeliefert wurde. Nach dem Verbüssen der Gefängnisstrafe kehrte Naegeli nach Deutschland zurück und arbeitet dort bis heute als Künstler. Heute gilt die Kunst Naegelis in der Schweiz immer noch als stark umstritten, obwohl er sich international einen Rang und Namen als Grafitti Künstler gemacht hat.
Die neuen Zeichnungen im Zürcher Oberdorf, in Oerlikon und anderen Stadtgebieten lassen vermuten, dass Harald Naegeli zurück ist! An dieser Stelle möchte ich Euch meine Aufnahmen von den wohl neuesten Werken zeigen und die Charakteristiken seiner Sprayereien aufzeigen. Interessant sind aber auch die zahlreichen Zeitungsartikel, die in den letzten Tagen zu seinem Werk in der Trittligasse in der Tagesanzeiger und der NZZ erschienen sind. Obwohl die Uni Zürich 2004 das Werk Naegelis am Deutschen Seminar konservieren und schützen liess, sind seine Kunstwerke in der Stadtzürcher Bevölkerung so umstritten, dass beinahe alle Leserbriefe zum Thema sehr negativ ausfallen und die Autoren Naegeli beinahe ohne Ausnahme an den Pranger haben wollen.